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Schulvorbereitung? Ein Kinderspiel!

Von Astrid Wirth, Tina Schiele, Efsun Birtwistle, Anna Mues, Frank Niklas.

Lernen passiert rund um die Uhr, schon weitaus vor der Einschulung – tatsächlich schon vor der Geburt eines Kindes! In ihrer Familie schnappen Kinder alles auf, was sie wahrnehmen können. Vielleicht ist es Ihnen schon ein paar Mal aufgefallen, dass Ihr Kind bestimmte Sätze, die Sie sagen, oder Routinen, die Sie durchführen, nachahmt. Ihr Kind lernt also ganz nebenbei durch Beobachten im Alltag. Deshalb ist es auch wichtig für Sie als Bezugsperson, Ihrem Kind ein anregendes und positives Lernumfeld zu bieten. Das betrifft neben Bereichen wie sozialem Verhalten gegenüber anderen Menschen, Alltagsgewohnheiten oder dem Vermitteln von Emotionen auch das Sprechen und den Umgang mit Zahlen und Mathematik. Um Ihr Kind zu unterstützen müssen Sie keine Experten sein! Ganz im Gegenteil: Die sprachlichen, mathematischen und emotionalen Fähigkeiten, die Ihrem Kind den Einstieg in die Schule erleichtern, können jederzeit von jeder und jedem auf spielerische, motivierende Weise unterstützt werden.

Familie Schulkinder Vorbereitung Schule gemeinsames Lesen

Frühe sprachliche Kompetenzen

Kinder lernen in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Das gilt für alle Bereiche des Lebens und damit auch für den Erwerb von Sprache. Sprache zu erlernen scheint nebenbei zu passieren, ist aber tatsächlich ein komplizierter Prozess. Dieser Prozess findet in verschiedenen Bereichen statt, in denen Kinder folgende Dinge lernen:

  • die Laute ihrer Muttersprache,
  • neue Wörter und deren Bedeutung (Wortschatz),
  • Sprachregeln (Grammatik), und
  • Erzählkompetenz.

All diese Bereiche können von Ihnen als Elternteil bestens unterstützt werden. Allgemein gilt für die Förderung des Spracherwerbs Ihres Kindes: häufiger ist mehr! Die Häufigkeit der Verwendung der Sprache, aber auch die Qualität ist hier entscheidend. Nutzen sie alltägliche Situationen um gemeinsam ins Gespräch zu kommen. Fragen Sie Ihr Kind, was es im Kindergarten gemacht hat, singen und reimen Sie gemeinsam, oder ermutigen Sie ihr Kind dazu, Ihnen sein Lieblingsmärchen nachzuerzählen.

Apropos Geschichten: Besonders förderlich für den Erwerb von Sprache und schriftsprachlichen Fähigkeiten ist natürlich das Vorlesen (Sénéchal & LeFevre, 2002). Binden Sie Vorlesen vor dem Zubettgehen als Routine in Ihren Alltag ein. Lassen Sie Ihr Kind seine Lieblingsgeschichten aussuchen und fördern Sie so nicht nur das schriftsprachliche Verständnis Ihres Kindes sowie seine Fantasie, sondern verbringen gemeinsam eine schöne Zeit. Besonders viel Spaß macht das „dialogische Lesen“. Hierbei lesen Sie Ihrem Kind nicht nur vor, sondern binden es in ein Gespräch ein, stellen ihm Fragen, verbinden die Geschichte mit Ihrem Alltag, und setzen sich so auf einer tieferen Ebene gemeinsam mit der Geschichte auseinander.

Das Schöne ist, dass Sprache und Schrift uns jederzeit überall begegnet. So kann das Erlernen sehr leicht in den Alltag eingebaut werden. Ihrer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt!

Wie geht das spielerisch?

  • Singen und Reimen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind.
  • Lassen Sie Ihr Kind Gegenstände finden oder sich Wörter überlegen, die mit seinem Anfangslaut beginnen. Bitten Sie zum Beispiel Noah, Tiere zu benennen die mit <Nnn> beginnen, oder Emilia, alle Gegenstände im Raum aufzuzählen, die mit <Eee> beginnen.
  • Gehen Sie zusammen mit Ihrem Kind auf Buchstabensuche! Suchen Sie den Anfangsbuchstaben Ihres Kindes in allen Straßenschildern die Sie sehen, oder nehmen Sie sich eine Zeitung zur Hand und kreisen Sie gemeinsam Buchstaben an; lassen Sie Ihr Kind z.B. alle „Us“ im Text finden und einkreisen.

Frühe mathematische Kompetenzen

Auch wenn formelle Mathematik erst in der Schule gelehrt und gelernt wird, entwickeln junge Kinder schon lange vor der Einschulung wichtige mathematische Vorläuferkompetenzen. Obwohl sich diese Kompetenzen problemlos im Alltag fördern lassen und Kindern damit der Einstieg in die Schule leichter gemacht werden kann, geschieht dies viel zu selten. Dies mag daran liegen, dass manche sich lieber nicht mit Mathematik auseinandersetzen wollen, da man sich nicht als geeignet ansieht, dass die Zeit fehlt oder dass man Mathematik der Schule und nicht dem Kindergartenalter zuordnet und somit für jüngere Kinder als unwichtig ansieht. Dabei lässt sich die Förderung der mathematischen Kompetenzen des Kindes wie auch beim Schriftspracherwerb ganz nebenbei in den Alltag einbinden und kann auch von Eltern, die ihre eigenen Mathematikfähigkeiten unterschätzen oder gar Angst vor Mathematik haben, mit Leichtigkeit gefördert werden. Zudem zeigen Studien, dass gerade die Kinder, die schon im Kindergartenalter mehr mathematisches Vorwissen ansammeln, später auch diejenigen sind, die sich in Mathematik in der Schule leichter tun und dass dieser Prozess unterstützt werden kann (z.B. Niklas, Cohrssen & Tayler, 2016).

Mathematik im Alltag kann auf unterschiedliche Arten gefördert werden. Wie auch beim Spracherwerb gelten hierbei zwei Dinge: 1. Ihr Kind sieht Sie als Vorbild und 2. häufiger ist mehr. Je häufiger Ihr Kind Sie mit Zahlen und mathematischen Inhalten umgehen sieht, desto stärker entwickelt es selbst ein Gefühl für die Notwendigkeit und Bedeutung von Mathematik. Je häufiger Sie Ihr Kind ermutigen und unterstützen, sich mit Zahlen auseinanderzusetzen, desto besser werden die mathematischen Kompetenzen Ihres Kindes.

 

Acht Freunde nebeneinander: Manche größer, manche kleiner!

Wichtig für das Verständnis von mathematischen Zusammenhängen ist auch das Verständnis von Größen und Reihenfolgen: Welche Zahl ist größer – 5 oder 9? Welche Zahl kommt vor der 4? Dies kann auch gut anhand von Würfelspielen gefördert werden. Ob Sie Klassiker wie Mensch ärgere dich nicht oder Malefiz spielen oder auch neuere Spiele wie Qwixx – Sie werden nicht nur eine Menge Spaß dabei haben, sondern fördern gleichzeitig ganz ungezwungen das mathematische Verständnis Ihres Kindes.

Wie geht das spielerisch?

  • Lassen Sie ihr Kind doch ml Besteck, Kuchenstücke oder Socken abzählen.
  • Sprechen Sie über Uhrzeiten oder Geschwindigkeiten, z. B. Um wie viel Uhr kommt die Oma zu Besuch und wie lange dauert es noch bis dahin?
  • Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Einheiten: Zählen Sie die Tage bis zum Wochenende ab, involvieren Sie es beim Abwiegen von Zutaten während des Kochens oder Backens, messen Sie sich gegenseitig und notieren Sie die Zentimeter oder lassen Sie Ihr Kind an der Kasse mal bezahlen.
  • Mathe hat nicht nur mit Zahlen zu tun. Vermitteln Sie Ihrem Kind ein Gefühl für Größen und Reihenfolgen. Welches Auto ist größer – das Rechte oder das Linke? In welche Reihenfolge muss ich die Bananen legen, damit die Kleinste die erste und die Größte die letzte ist?

Weitere spannende Entwicklungsbereiche

Auch wenn häufig die schriftsprachlichen und mathematischen Vorläuferfähigkeiten im Vordergrund stehen, wenn es um frühe Förderung geht, gibt es daneben noch weitere spannende Entwicklungsbereiche, die ebenso wichtig sind und in denen Sie Ihre Kinder ebenfalls adäquat unterstützen zu können.
 

Kognitive Entwicklung

Wenn Kinder in die Schule eintreten gelten neue und ganz andere Regeln als zuvor im Kindergarten. So wird von ihnen erwartet, dass man sich z. B. konzentriert oder aber auch eine gewisse Zeit still sitzen bleiben kann. Das fällt einigen Kindern manchmal schwerer als Anderen und sie lassen sich schnell ablenken und sind unkonzentriert. An der Stelle muss aber gesagt werden, dass Kinder grundsätzlich eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne aufweisen und je älter sie werden, desto besser gelingt es Ihnen auch aufmerksam und konzentriert zu arbeiten. Um sich nicht so leicht, beispielsweise bei den Hausaufgaben ablenken zu lassen und die Konzentration ihres Kindes zu unterstützen, können Sie Ihrem Kind helfen, indem sie gemeinsame Regeln aufstellen. Beispielsweise können Sie vereinbaren, dass kein Fernseher, oder Hörbuch während der Hausaufgaben läuft. So wird ihr Kind durch weniger Reize abgelenkt und kann lernen, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Aber auch weitere alltägliche Dinge, wie gemeinsames Puzzeln oder Spiele spielen, bei denen die Kinder ihre kognitiven Fähigkeiten einsetzen müssen, bieten Potenzial, um die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, durch explizites Fokussieren zu fördern und zu lernen. 

Sie werden auch merken, dass die Gedächtnisfähigkeit und das logische Denken Ihres Kindes noch ausbaufähig sind. Logisches Denken beschreibt zum Beispiel das Durchführen geistiger Denkoperationen, um Probleme zu lösen, oder Schlussfolgerungen zu ziehen. Auch das Beobachten, Analysieren und Ausprobieren zählen dazu. Gedächtnis und logisches Denken sind sehr wichtig für die Entwicklung eines Kindes und Sie als Eltern können diese Vorgänge fördern. Spielen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind Memory-Spiele, um sein (und auch Ihr) Gedächtnis zu fördern. Ermutigen Sie Ihr Kind auch dazu, Verbindungen zwischen Ursache und Wirkung herzustellen, indem es Schlussfolgerungen zieht. Stellen Sie beispielsweise Fragen wie „Wenn wir diesen Ast ins Wasser werfen, was passiert dann?“ Überprüfen Sie die Vermutung Ihres Kindes gerne durch einen Versuch – werfen Sie den Ast wirklich ins Wasser!


Sozial-emotionale und Persönlichkeitsentwicklung      

Bereits im Kindergarten entwickeln Kinder ein Gespür dafür, was „gut“ und was „schlecht“ ist und wie man miteinander umgehen sollte. Gleichzeitig lernen Sie wie man teilt oder anderen Kindern Empathie entgegenbringt. Neben den Vorläuferfähigkeiten, spielt deshalb auch die sozial-emotionale sowie die Persönlichkeitsentwicklung Ihres Kindes in seinem gesamten Entwicklungsprozess eine bedeutsame Rolle (Wilson & Durbin, 2012).

Wie in allen anderen Bereichen der frühkindlichen Förderung gilt auch hier, dass Kinder sich an ihren Vorbildern orientieren. Wird Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft in Ihrer Familie als wichtig angesehen? Dann wird Ihr Kind dieses Verhalten nachahmen und sich mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem hilfsbereiten Menschen entwickeln.

Ein weiterer Baustein in der Entwicklung junger Kinder ist die Bildung ihrer Persönlichkeit und ihres Selbstkonzepts. Diese werden geformt durch Umweltfaktoren wie die Erziehung, Sozialisation und die Familienstruktur. Wenn Sie als Eltern beispielsweise Ihr Kind regelmäßig mit zum Sport mitnehmen, könnte dieser Lebensstil die Persönlichkeitsentwicklung Ihres Kindes beeinflussen und neue Gewohnheiten in ihm aufkeimen lassen. Durch viel Lob, Anerkennung und Interesse an Ihrem Kind können Sie zudem sein Selbstwertgefühl steigern und so zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung beitragen.

 

Entwicklungsförderung – ein Kinderspiel

Wie Sie sehen, umfasst die Entwicklung eines Kindes viele Bereiche. Diese adäquat zu fördern, scheint oftmals zeitaufwändig und anspruchsvoll. Das ist aber nicht ganz richtig, denn alle diese Bereiche können nahezu beiläufig und spielerisch im Alltag unterstützt werden. Möchten Sie Ihr Kind also auf spielerische Weise für die Schule vorbereiten und dabei eine Menge Spaß haben und voneinander lernen? Dann versuchen Sie doch einmal, sich weniger mit intensivem Vorschullernen auseinanderzusetzen und integrieren Sie stattdessen Ihr Kind und die Förderung seiner Fähigkeiten stärker in Ihren ganz normalen Alltag. Denn auch so kann die Entwicklung Ihres Kindes angemessen unterstützt werden – ganz beiläufig und spielerisch.
 

 

Quellen

Niklas, F., Cohrssen, C. & Tayler, C. (2016). Improving preschoolers’ numerical abilities by enhancing the home numeracy environment. Early Education and Development, 27(3), 372-383.

Sénéchal, M. & LeFevre, J. (2002). Parental involvement in the development of children’s reading skill: a five-year longitudinal study. Child Development, 73(2), 445-460.

Wilson, S., & Durbin, C. E. (2012). Dyadic parent‐child interaction during early childhood: Contributions of parental and child personality traits. Journal of Personality, 80(5), 1313-1338.

 

 

Dr. Astrid Wirth

Dr. Astrid Wirth ist Psychologin am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2020 promovierte sie ebenda. Zuvor war sie unter anderem am Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen in Mainz und an universitären Forschungseinrichtungen in Mainz und Freiburg beschäftigt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Home Literacy Environment und der frühen Kompetenzförderung von Kindern mit digitalen Medien.

Tina Schiele

Tina Schiele ist Erziehungswissenschaftlerin und absolviert ihren Master im Fachbereich Lehr-Lernforschung an der Technischen Universität München. Des Weiteren ist sie als wissenschaftliche Hilfskraft im EU-geförderten Langzeitprojekt Learning4Kids an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig. Für die Publikation "Kinder spielerisch auf die Schule vorbereiten" entwarf sie die Illustrationen.

Dr. Efsun Birtwistle

Dr. Efsun Birtwistle ist Kognitionspsychologin und Postdoc am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie promovierte 2018 an der LMU München im internationalen Programm der Graduate School of Systemic Neurosciences. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der familiären Lernumwelt und der Unterstützung von Lernprozessen in diesem Kontext und des kognitiven Trainings von Kindern und Erwachsenen durch digitale Spiele.

Anna Mues

Anna Mues ist Erziehungswissenschaftlerin und promoviert derzeit am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians- Universität München. Zuvor war sie als wissenschaftlich-studentische Mitarbeiterin an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und am dortigen Leibniz-Institut für Bildungsverläufe tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Home-Numeracy-Environment und der frühen mathematischen Kompetenzentwicklung von Kindern.

Prof. Dr. Frank Niklas

Prof. Dr. Frank Niklas ist Professor für Pädagogische Psychologie und Familienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zudem gehört er seit seinem Forschungsaufenthalt in Australien (2013–2015) der University of Melbourne als „Honorary Senior Fellow“ an. Er promovierte 2010 und habilitierte 2014 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die kindliche Kompetenzentwicklung und deren analoge und digitale Förderung in der familiären Lernumwelt.

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