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Wie Lernen in digitalen Lernumgebungen motivieren kann – Stichwort: Gamification

In digitalen Lernumgebungen zu lernen, ist nicht per se besser oder schlechter als die Nutzung analoger Medien im Unterricht. Digitale Lernumgebungen eröffnen aber neue Chancen und Lernwege und können Schüler*innen zum Lernen motivieren, sofern in diesen Lernumgebungen bestimmte Merkmale berücksichtigt werden. Mit Bezug auf eine zentrale Theorie aus der Motivationspsychologie, die Selbstbestimmungstheorie, erklären die Autorinnen, wie digitale Lernumgebungen motivieren, wenn sie bestimmte Elemente aus Computerspielen integrieren.

Von Dr. Sabrina Bonanati, Prof. Dr. Heike Buhl und Prof. Dr. Birgit Eickelmann

Selbstbestimmungstheorie und psychologische Grundbedürfniss

Mit der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 2002) wird erklärt, wie es dazu kommt, dass Personen autonom und aus eigenen Interessen heraus, also intrinsisch motiviert handeln. In der Schule ist häufig nur ein geringer Teil des Handelns von Lernenden intrinsisch motiviert. Ein viel größerer Teil wird oftmals durch Curricula und Lehrkräfte vorgegeben, ist also eher von außen angeregt und gesteuert. Dennoch können Lernende durch bestimmte Modifikationen der (Lern-)Umwelt, also auch des Unterrichts, zu selbstbestimmtem Handeln motiviert werden. Nach Deci und Ryan (2002) geschieht dies in besonderer Weise durch die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomieerleben, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit, die im Folgenden kurz erläutert werden.

Autonomieerleben

Lernende sollten für die Erfüllung dieses Grundbedürfnisses ihre Handlungen als selbstbestimmt erleben. Autonomie fördernd ist die Möglichkeit, Aufgaben, Themen oder Handlungsweisen selbst mitzubestimmen.

Kompetenzerleben

Lernende erleben sich als besonders wirksam, wenn die Aufgaben ihrem Kompetenzniveau entsprechen. Wird allgemein das Gefühl, in einer Situation etwas bewirken zu können, gestärkt, fördert dies selbstbestimmtes Handeln. Dazu trägt auch individuelles Feedback bei.

Soziale Eingebundenheit

Soziale Eingebundenheit resultiert im Kontext von Schule vor allem aus der positiven Beziehung, die Lernende zu einer anderen Person haben oder in einer Gruppe wahrnehmen.
Psychologische Grundbedürfnisse, die zentral für die intrinsische Motivation sind, finden sich vielfach in Computerspielen und begründen damit auch ihre Attraktivität. Diese kann durch Gamification-Elemente auf Lernsettings übertragen und so für die Gestaltung von schulischen Lehr-Lernprozessen nutzbar gemacht werden.

Gamification und die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse

Unter Gamification versteht man die Nutzung spielbasierter Elemente aus Computerspielen für digitale Lernumgebungen. Diese sollen in besonderer Weise psychologische Grundbedürfnisse berücksichtigen und damit selbstbestimmtes Handeln der Lernenden fördern (Kapp, 2012; Sailor & Homner, 2020).
Digitale Lernumgebungen bieten zur Befriedigung des Autonomieerlebens oftmals viele verschiedene Wahlmöglichkeiten. Die ist der Fall, wenn Lernende selbstständig in der digitalen Lernumgebung interagieren, also verschiedene Möglichkeiten haben, selbst Aufgaben zu wählen und die Lernumgebung zu steuern. Des Weiteren ist das Lernen in digitalen, spielbasierten Lernumgebungen oftmals in eine narrative Rahmenhandlung eingebunden. So werden Ziele verständlicher und bewusster. Die Identifikation mit den Spielfiguren (z.B. in Form von Avataren) in spielbasierten Lernsettings ist ein weiteres Merkmal, welches das Bedürfnis nach Autonomieerleben befriedigen kann. Lernende können sich im Spiel mit den Protagonist*innen identifizieren. Diese Identifikation wird oftmals auch durch das Anlegen eines eigenen Accounts gestärkt.

Wenn digitale Lernumgebungen adaptiv sind – wie es Computerspiele oft anbieten und damit den Kompetenzstand der Nutzer*innen aufgreifen –, fördert dies das (positive) Erleben von Kompetenz. Viele Apps und Lernprogramme können auf verschiedene Schwierigkeitsstufen eingestellt werden oder stellen sich auf Basis von Fehleranalysen oder Vortests automatisch auf die Fähigkeiten der Lernenden ein (Intelligente tutorielle Systeme). Schüler*innen lernen dadurch auf einem optimalen Fähigkeitsniveau. Wenn Lernende immer wieder dieselben Fehler machen, können Programme außerdem verschiedene Hinweise und Aufgaben einschalten, die weiterhelfen und eventuelle Verständnis- und Wissenslücken schließen. Viele digitale Lernumgebungen geben automatisch direktes Feedback auf Aufgabenlösungen oder stellen die Möglichkeit bereit, in der Gruppe mit anderen Lernenden Aufgaben zu lösen. Beides kann das Erleben von Kompetenz fördern. Vorsicht ist an dieser Stelle allerdings geboten, wenn Gruppenspieloptionen und Feedback zu einem kompetitiven Lernverhalten führen. Wenn es also nicht mehr um das Lösen der Aufgaben, sondern nur noch um das Bessersein geht, kann dies die Motivation auch hemmen (Kapp, 2012).

Die soziale Eingebundenheit wird gefördert,wenn durch das Programm das Spielen in der Gruppe und dadurch kollaboratives oder kooperatives Lernen ermöglicht wird. Beide Formate, kollaboratives und kooperatives Lernen, sind Formen des Lernens in Gruppen. Wenn Personen im Team zusammenspielen, führt das auch dazu, dass Ziele in der Gruppe geteilt und gemeinsam verfolgt werden. Auch für die Förderung sozialer Eingebundenheit durch gamifizierte Lernumgebungen gilt jedoch der Hinweis, den wir bereits zum Kompetenzerleben gegeben haben: Das gemeinsame Lösen der Aufgabe und nicht der Wettbewerb sollte im Vordergrund stehen. Neben den genannten Aspekten können Rollenmodelle wie Personen in Erklärvideos die soziale Eingebundenheit fördern. Personen, die beispielsweise einen Lerninhalt zunächst genauso wenig verstanden haben wie die Lernenden selbst, bieten viele Identifikationsmöglichkeiten, was motivieren kann.

 

Was man beim Einsatz von Gamification beachten sollte

Wenn nun gamifizierte digitale Lernumgebungen in schulischen Kontexten eingesetzt werden, kann dies sowohl positive als auch negative Folgen für die Motivation haben. Die Wirkungsweise hängt damit maßgeblich von der individuellen Bewertung der Aufgabe bzw. der Tätigkeit durch die Lernenden selbst ab. Bislang konnten positive Effekte gamifizierter Lernumgebungen auf die Wahrnehmung psychologischer Grundbedürfnisse gefunden werden, die Wirkung auf die Motivation an sich ist jedoch noch nicht eindeutig belegt (Sailer & Homner, 2020). Umso wichtiger erscheint es – auch im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen –, digitale Lernumgebungen hinsichtlich ihres motivationalen Gehaltes kritisch zu reflektieren und zu bewerten. Die folgende Checkliste mit den darin enthaltenen Fragen bietet dafür einige Anregungen (vgl. Buhl, Bonanati & Eickelmann, 2021).

Bei diesem Themenartikel handelt es sich um eine stark gekürzte Zusammenfassung mehrerer Kapitel aus dem Buch Schule in der digitalen Welt (Buhl, Bonanati & Eickelmann, 2021). Das Buch erscheint im Juni 2021 im Hogrefe Verlag und behandelt über diesen Artikel hinaus viele aktuelle und spannende Themen rund um das Thema Digitalisierung im Schulkontext.

Literatur

Buhl, H. M., Bonanati, S. & Eickelmann, B. (2021). Schule in der digitalen Welt. Göttingen: Hogrefe.

Deci, E. & Ryan, M. R. (Eds.). (2002). Handbook of self-determination theory. Rochester: University Press.

Kapp, K. M. (2012). The gamification of learning and instruction: Game-based methods and strategies for training and education. San Francisco: Pfeiffer.

Sailer, M. & Homner, L. (2020). The gamification of learning: a meta-analysis. Educational Psychology Review, 32, 77–112. https://doi.org/10.1007/s10648-019-09498-w.

Dr. Sabrina Bonanati

Dr. Sabrina Bonanati. 2007-2012 Lehramtsstudium für die Schulformen Gymnasium und Gesamtschulen in den Fächer Deutsch und Philosophie, Universität Paderborn. 2012 bis heute Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Pädagogischen Psychologie und Entwicklungspsychologie unter Berücksichtigung der Geschlechterforschung an der Universität Paderborn. 2017 Promotion in der Psychologie an der Universität Paderborn.

Prof. Dr. Heike M. Buhl

Prof. Dr. Heike M. Buhl. 1997-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Pädagogische Psychologie im Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2007 Habilitation. Vertretungsprofessuren in Erfurt und Kassel. Seit 2010 Professorin für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie unter Berücksichtigung der Geschlechterforschung an der Universität Paderborn.

Portrait von Birgit Eickelmann.

Prof. Dr. Birgit Eickelmann

Prof. Dr. Birgit Eickelmann. 1990-1996 Studium der Mathematik und Physik in Bochum. 1997-2003 Referendariat und Schuldienst; 2003-2012 Abgeordnete Studienrätin am Institut für Schulentwicklungsforschung, TU Dortmund. Seit 2012 Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn.

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